


In vielen französischen Dörfern des 19. Jahrhunderts wurde diese Geste diskret eingesetzt, um eine Bitte abzuwehren, Drängen zu besänftigen oder Widerspruch auszudrücken, ohne die Stimme zu erheben. Man denke an einen allzu neugierigen Nachbarn oder einen aufdringlichen Verkäufer: Eine einfache Geste hinter dem Fenster genügte, um alles zu sagen. Kein Ausbruch, kein Streit … nur eine subtile, ironische Geste.
Bevor die Geste in den alltäglichen Sprachgebrauch Einzug hielt, hatte sie eine tiefere Bedeutung. In verschiedenen osteuropäischen Traditionen, insbesondere in der Volkskultur, galt sie als kleiner Talisman gegen unerwünschte Einflüsse.
Die geballte Faust symbolisierte innere Stärke, der gefaltete Daumen einen „Schlüssel“, der positive Energie bewahren sollte. Dieses Symbol wurde manchmal in der Tasche oder unter dem Mantel aufbewahrt, um Mut zu schöpfen, ähnlich wie wir heute vielleicht einen Glücksbringer bei uns tragen.
Nichts Magisches, einfach ein beruhigender Familienglaube, ein Ritual, das von Generation zu Generation weitergegeben wird.

In den Erinnerungen vieler von uns gehört die Feige auch zu Kinderspielen. Ein Versprechen, das wir nur vorgaben anzunehmen, eine Gefälligkeit, der wir uns geschickt entzogen… und schwupps, eine Feige hinter unserem Rücken, die uns ins Gesicht lachte.
Dieser spielerische kleine Code erlaubte sanftes Necken, das Austesten von Grenzen oder das Erfinden einer Geheimsprache. Großmütter wiederum sahen ihn oft als einen freundlichen Ratschlag: „Wenn dich jemand nervt, ignoriere ihn einfach und geh weg.“ Eine einfache Art, Grenzen und Humor kennenzulernen.
Manche Familiengeschichten erzählen davon, dass Menschen diese Geste während wichtiger Prüfungen heimlich in ihre Tasche steckten, als eine intime Erinnerung: „Bewahre den Glauben, du bist stärker, als du denkst.“
Es war kein Zeichen des Trotzes, sondern eine Geste des Trostes, fast meditativ. Eine Möglichkeit, ein vertrautes Symbol stets griffbereit zu haben.
Weil unsere Kommunikation digital geworden ist: Wir sagen „Nein“ mit einem Emoji, wir schicken ein Zwinkern, einen Daumen hoch, ein Herz. Die Feige ist zwar nicht ganz verschwunden, aber sie lebt hauptsächlich in Erinnerungen, Familiengeschichten und bestimmten lokalen Traditionen fort.
Und doch bleibt es ein bezauberndes Symbol: eine stumme Botschaft, eine sanfte Ablehnung, ein schützendes Augenzwinkern. Ein Ausdruck dessen, was Worte nicht immer wagen auszusprechen, eine diskrete Volkstradition , die bis heute fortlebt. Sie verkörpert ein uraltes gestisches Gedächtnis , das uns mit seiner Schlichtheit immer wieder berührt.
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